Der Eindruck
- Julia Schmitt

- 26. Mai 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Feb.
Lass uns in die Zeit zurückgehen als wir noch jung, geradezu jugendlich waren. 13, 14, 15 oder 16 Jahre. Die Welt gehörte uns, leider noch nicht in vollem Maße, da wir ohne die Volljährigkeit noch nicht alle Rechte hatten, aber wir waren gut dabei uns von dem Elternhaus abzunabeln. Unsere Persönlichkeit formte sich immer mehr nach unseren eigenen Entscheidungen und nicht nach denen, die für uns getroffen wurden. Und so wurden wir vielleicht mal von der Polizei nach Hause gebracht, oder beim Rauchen erwischt, oder hatten einen alkoholischen Absturz. Wir schwärmten für einen unserer Lehrer – einen jungen, dynamischen, gutaussehenden Englisch-Lehrer – und warfen unserem gleichaltrigen Schwarm immer heimlich Blicke zu. Wir stellten uns mit unseren Freunden in die Nähe der Gruppe unseres Schwarms und irgendwann verschmolzen beide Gruppen zu einer großen, in dem man sich öfters an den gleichen Orten aufhielt und hier und da – ganz unabsichtlich – über den Weg lief. Und dann war er da, der Moment, in dem der Schwarm und man selbst sich zufällig ganz alleine trafen.
Ich setzte mich auf die Bank im Wartehäuschen und schaute in der Gegend herum während ich meiner Lieblingsmusik über die Kopfhörer lauschte. Und so mir nichts dir nichts bog er um die Ecke. Hendrik! Oh Gott! Er war so süß! Er kam auf mich zu bzw. auf die Haltestelle und entdeckte mich. Dies entdeckte ich daran, da ich eine kurze Reaktion in seiner Mimik erkennen konnte. Er wusste also wer ich war. Er erkannte mich! Juhu!
„Hey Svenja.“
„Hi.“
Mehr Kommunikation passierte erstmal nicht und mir schlug mein Herz bis zum Hals. Er war so süß. Es sah so aus als hätte er sich schon angefangen zu rasieren, da links am Kinn ein paar Stoppeln zu sehen waren. Wie männlich! Und im Gegensatz zu den meisten von seinen Kumpeln war Hendrik schon mit dem Stimmbruch durch. Wieder: Juhu! Hendrik war ein Mann, er war kein Junge mehr und er hatte mich begrüßt. Toll!
„Svenja?“
„Mhm?“
„Ach nichts.“
Hendrik setzte sich neben mich und wir warteten weiter schweigend an der Bahnhaltestelle. Ich spürte seine Wärme, ich nahm seinen Geruch wahr. Er nahm ein krasses Deo oder After Shave. Auf jeden Fall stank er nicht nach Schweiß, was ihn auch von 50% aller anderen Jungs unterschied. Mein Herz schlug immer schneller und ich versuchte ihn unauffällig aus dem Blickwinkel zu betrachten. Gerade Götter-Nase, wache, grüne Augen, brauner Wuschelkopf. Süß! Einfach süß! Plötzlich blickte Hendrik in meine Richtung und grinste mich an. Ich wurde rot und grinste zurück. Er begann mit seinen Füßen zu wippen und kramte irgendwas in seinen Hosentaschen.
„Die Bahn lässt ja ganz schön auf sich warten.“
„Jepp.“
Hendrik stand auf und berührte dabei meinen Arm. Himmlisch! Es fühlte sich gut an. Irgendwie richtig!
Er lief hin und her, schaute in meine Richtung. Ich beobachtete ihn – nicht offensichtlich, aber so, dass er wusste, dass ich interessiert an ihm bin, aber nicht zu sehr – nur ein bisschen, mehr eben als andere Mädchen.
Er ging direkt unter die vordere Kante des Bahnhäuschens, reckte seine Arme nach oben, ergriff die Kannte mit beiden Händen.
„Boah! Er ist so stark und sportlich“, dachte ich, während Hendrik begann sich hochzuziehen.
Ca. 1 cm.
Seine Fußspitzen berührten immer noch den Boden. Höher kam er nicht.
Ich bemerkte wie er nochmals versuchte sich hochzuziehen – ohne Erfolg.
Dann ließ er abrupt los, sprang mit einem Satz und einem hochroten Kopf einen halben Meter nach vorne auf die Bahngleise. Ich schaute betreten zur Seite. Peinlich! Und jetzt? Vielleicht war er doch noch nicht soooo stark, aber das konnte ja noch kommen. Ich unterdrückte ein Schmunzeln und setzte einen schmachtenden Gesichtsausdruck auf, so dass er hoffentlich den Eindruck gewann, dass mir diese Situation total egal war und ich ihn trotzdem toll fand.
„Alles okay?“, fragte er.
„Äh ja, wieso?“, gab ich zurück.
„Dein Gesicht sieht komisch aus.“
Ich wurde rot und schaute auf den Boden. Peinlich!
„Ich meine der Ausdruck in deinem Gesicht, Svenja. Dein Gesicht als solches ist süß.“
Ich blickte ihn überrascht, ungläubig und hoffend an.
Durch das Quietschen der Gleise hörten wir die Bahn anrollen. Hendrik stellte sich an das Ende der Haltestelle, um ganz hinten einzusteigen. Er grinste mich wieder an.
Ich wartete bis zum letzten Moment, stand dann auch auf und stieg eine Tür vor ihm ein.
„Hey Bro!“, hörte ich Hendrik sagen und sah wie er einen seiner Kumpels mit der Ghetto Faust begrüßte. Hendrik fläzte sich auf den Sitz neben seinem Kumpel, sie begannen zu quatschen und er schaute nicht mehr in meine Richtung.
Ich setzte mich auf den nächstbesten Platz, schaute aus dem Fenster und grinste dümmlich vor mich hin. Ach, Hendrik!
Junge Liebe! Von solchen Momenten, oder so ähnlichen Momenten gab es wohl einige in jüngeren Jahren und vielleicht auch noch in späteren Zeiten. Wie schön sich daran erinnern zu können und die Gedanken einfach mal auf Urlaub in die eigene Vergangenheit zu schicken. Happy dreaming!




