Die Rolle deines Lebens
- Julia Schmitt

- 19. Mai 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Feb.
Wer bist du gerade? Bist du gerade die Freundin deines Partners/deiner Partnerin? Bist du Sohn? Bist du Mutter? Bist du Arbeitnehmer oder Arbeitgeber? Bist du Neffe oder Großtante? Bist du Kundin oder Gast? Oder bist du Gastgeber?
Immer wieder werden wir dazu genötigt oder begeben uns freiwillig in bestimmte Rollen. Mal ist man der egoistische Kollege, manchmal der total uneigennützige Chef. Manchmal die nette und freundliche Nachbarin und manchmal das total bestimmende Teammitglied. Manchmal gibt man nach und manchmal beharrt man stur auf seiner Meinung. Und dieses ganze Spektrum ist für uns Menschen natürlich. Alle Emotionen, auch die, die sich nicht so schön anfühlen, gehören zum Menschsein dazu.
Manche Menschen beginnen schon als Kind total fürsorglich zu sein und sich um andere zu kümmern. Das zieht sich dann auch im Erwachsenenalter weiter. Erst wird der Partner/die Partnerin bevormundet, dann die eigenen Kinder, die Freunde und dann auch noch die Eltern. Man kennt es unter dem immer öfter gebrauchten Wort „Helfersyndrom“. Zu helfen ist was Vorbildliches, meiner Meinung nach, aber auch nicht immer einfach. Denn manche möchten keine Hilfe. Manche möchten vielleicht Hilfe, aber schaffen nicht danach zu fragen und manche opfern sich richtig gehend für andere Lebewesen auf und brauchen dann eher selbst Hilfe als das sie anderen noch helfen könnten. Wo ist da noch die eigene Person? Warum gibt es Menschen, deren erste Priorität nicht sie selbst sind; sondern alle anderen?!
Auch ich plädiere für einen „gesunden“ Egoismus. Was aber ist denn ein „gesunder“ Egoismus?
Hier eine klare Definition vorzunehmen, habe ich bisher noch nicht wirklich geschafft und daher schaue ich mir das mal aus einem anderen Blickwinkel an.
Wer bist du denn hinter deinen ganzen Rollen? Wer bist du, wenn du nicht Sohn, Mutter, Arbeitnehmer, Kunde, Gastgeber, Wähler, Helferin, Fels in der Brandung, Organisator vom Dienst bist? Wer bist DU?
Und weiter: Ist es überhaupt so wichtig seine verschiedenen Rollen zu erkennen und sich dann zu hinterfragen, wer man ohne diese Rollen ist? Wozu soll das gut sein?
Antwort: Ja und weniger Druck, weniger Stress, weniger Verantwortung, weniger sollen, dürfen, müssen!
Ich habe das Recht „Stopp!“ zu sagen, wenn ich merke, dass jemand oder etwas meine Grenze überschreitet und mich über eine meiner Rollen definiert, oder vielleicht sogar eine gewisse Erwartungshaltung an eine meiner Rollen hat. Ja, es kann andere erschrecken und verletzen und ja, Beziehungen können dadurch auseinander gehen und wenn du zu viel Angst oder Hemmungen davor hast, dann lass es, aber sei dir bewusst und werde dir darüber klar, was du zu verlieren hast. Dein Leben! Nicht Ninas, Stefans, Andreas, Moritz‘ Leben, sondern DEINS! Deine eigene Lebenszeit läuft ab: sekündlich, stündlich, jährlich.
Wie fühlt es sich an deine eigene Lebenszeit mit den verschiedensten Rollen zu füllen? Wie fühlt es sich an dir selbst etwas vorzumachen? Zu lächeln, wo es nichts zu lächeln gibt? Zu helfen, wo deine Hilfe unerwünscht ist? Zu urteilen, wo dein Urteil nicht gehört werden möchte?
Wer bist DU ohne deine Rollen und wer möchtest du sein? Immer, wirklich immer haben wir die Chance etwas anders zu machen, etwas zu verändern und sei es erstmal nur in kleinen Schritten. Morgens mal keinen Kaffee zu trinken, sondern einen Tee. Abends mal keine Süßigkeiten zu essen, sondern einen Apfel. Mal nicht stur zu sein, sondern als erster nachzugeben. Den assi-fahrenden Proleten nicht anzuhupen, sondern in die Lücke reinschlüpfen zu lassen.
Rollen sind das was sie sind: Rollen. Aneinandergereihte Verhaltensweisen, die wir uns irgendwann selbst auferlegt haben, oder deren gesellschaftliche Vorurteile wir der Meinung sind, bestätigen zu müssen. Aber: wir können gehen. Wir können uns ändern. Rollen bearbeiten, weiterentwickeln, oder ganz loslassen. Ich muss keine Kundin bei Edeka, Netto oder Lidl sein. Ich muss kein Arbeitnehmer bei der Firma Xy sein. Ich muss keine Partnerin von Person X sein. Ich muss meine Partnerin nicht anpflaumen, weil mir gerade ein Furz quer sitzt. Ich darf einen anderen Kunden an der Kasse vorlassen ohne dass mir irgendwas Schlimmes widerfährt.
Möglichkeiten, Chancen, Veränderungen, Optionen!
Und dann gibt es die ein oder andere Rolle, in die man hineingeboren wird oder sich unwiderruflich selbst aufbürdet. Alles familiäre wird immer da sein. Wir haben sogar eigene Worte dafür: Tochter, Bruder, Mutter, Onkel, Großmutter, Enkel. Wir können uns diesen Rollenbeschreibungen nicht entziehen und doch können wir ab einem Punkt mitbestimmen wie wir diese Rollen definieren und ausleben möchten. Wir brauchen nicht viel dafür, aber eine sehr entscheidende Zutat: Mut. Sei mutig dich so zu zeigen wie du bist. Denk nicht, du musst so und so sein. Denk nicht, dieses und jenes wird von mir erwartet. Das weißt du gar nicht. Ich selbst erwischte mich ganz oft dabei, dass ich Dinge gar nicht oder erst nicht getan habe, da ich nicht den Mumm hatte. Ich dachte, ich werde dann weniger geliebt, wertgeschätzt, ernst genommen, oder was auch immer. Ja, die ein oder andere Beziehung/Freundschaft ist vielleicht auch mal in die Brüche gegangen, aber das ist gar nicht so schlimm. Menschen, denen du wichtig bist, so wie du bist, ohne eine Rolle auszufüllen, ist es wurscht, wer du bist und wie viele Rollen du hast und wie gut du diese Rollen füllen kannst. Ein soziales Umfeld definiert sich nicht über die Anzahl an Rollen, die man sich gegenseitig vorgaukelt, sondern an ehrlichem Austausch und Miteinander, Kompromissen, Zugeständnissen, dem Willen nach Veränderung und der Akzeptanz für Anderes. Wertvoll ist, so angenommen zu werden wie man ist und nicht erst, wenn man bestimmte Erwartungen erfüllt.
Rollenbilder sind auf gewisse Weise wichtig und gerade für heranwachsende Kinder unglaublich wichtig. Ein Kind sollte die Gewissheit haben, dass Mama und Papa präsent sind. Da sind um einen zu beschützen, zu helfen, mit ihnen Spaß zu haben und einen fordern und fördern zu einer selbstständigen Persönlichkeit heranzuwachsen. Aber dann? Haben wir die Qual der Wahl und die oftmals freie Entscheidung, WER wir sein wollen und WIE wir sein wollen.




